05
w(o)(a)nder, instrumentalize, archive
aestheticized, (de-)contextualized, evocative
solastalgia, memory, processes in landscapes
Zwei Landschaften in zwei verschiedenen Ländern: Beide hatten über Äonen hinweg ihr eigenes Dasein. Heute teilen sie sich den Raum, geben ihr Innerstes und ihr Äusserstes ab. Stück für Stück wird von ihnen abgetragen. Sie erhalten eine neue Identität und eine neue Funktion, Zuspruch, Bewunderung und vielleicht auch Ehrfurcht. Sie werden verwundet, kommen in einen Kreislauf, werden transformiert und generieren eine teils groteske, teils widersprüchliche Ästhetik.
Beim Wandeln, Fasziniert-Sein, Sich-Zeit-Nehmen verweben sich Gespräche, Geschriebenes, Gefilmtes.
Steckbrief Ptolemaida
Momente aus dem Besuchen von Ptolemaida
Ich befinde mich an einem nackten Nicht-Ort. Die Nacktheit wird teilbedeckt von Fabriken, Reaktoren, Kühltürmen, Schildern, einer Skulptur, einem Mahnmal. Auf dem Marmormonument die Worte: «Εμείς οι εργάτες είμαστε που με τον ιδρώτα μας ζυμώνουμε του κόσμου το ψωμί. Emeis oi ergates eimaste pou me ton idrwta mas zymonoume tou kosmou to pswmi», eine Zeile aus einem Gedicht von Kostis Palamas, einem wichtigen Lyriker der neugriechischen Literatur. Übersetzen würde ich die Worte folgendermassen: «Wir, die Arbeiter sind es, die mit unserem Schweiss das Brot der Welt kneten.»
Ich gehe weiter, zu Fuss die Hügel runter, und vor mir öffnet sich nochmals ein riesiges offenes Becken, in dem Kohle abgebaut wird. Ich will es gerne umrunden. Weil es so weitläufig ist, beschliesse ich, die Strecke zum Auto hochzugehen und das kraterartige Loch dann mit dem Auto zu umfahren.
Ich fahre bis etwa in die Mitte des Beckens zu einem Teil der Landschaft, wo wohl schon länger nichts mehr abgebaut wird. Dort hat sich ein kleiner Fluss gebildet, der unter dem Eis durchfliesst und an dessen Ufer die ersten grünen Pflanzen des Jahres wachsen.
Die Kälte, die Landschaft, das Nicht-einordnen-Können meiner Gefühle dem Ganzen gegenüber laugen mich aus, und ich beschliesse, mir nun wirklich einen Platz zum Schlafen zu suchen.
Ich bewege mich hin und her zwischen den Schönheiten der Natur und halbverlassenen Fabriken, zwischen Schildern, die auf Bären hinweisen, Wölfen, die in Auswilderungsgehegen auf ihre (Re)sozialisierung in der freien Wildbahn warten, oder Strassenhunden, die aussharren, bis sich eine nette Familie für eine Adoptionen entscheidet, zwischen Fischerbooten, die im zugefrorenen See feststecken, und Windrädern, die vom Wind angetrieben werden, zwischen fruchtbarem und brachem Land, zwischen den Geräuschen von nistenden Vögeln und dem Brummen der Motore.
Zwischen dem Schilf habe ich eine Maschine hervorblitzen sehen, nun fahre ich der Neugierde hinterher. In einem Feld – im Nichts? – steht die Maschine vor mir. Sie ist turmhoch. Sie ist ein Schaufelradbagger der Firma Siemens. Sie nimmt sich Raum in der Landschaft, und ein Schwarm Nebelkrähen nimmt sich die Führerkabine. Ich verweile und beobachte, wie die Krähen immer wieder ausschwärmen, nur um Minuten später wieder zurückzukehren. Der Himmel ist grau, das Schilf gelb, die Erde braunrot, die Krähen heben sich durch ihre schwarze Farbe etwas ab, und am Horizont sehe ich wieder diesen roten Kühlturm mit dem weissen Streifen in der Mitte. Die ökologische Stromstätte.
Name:
Braunkohleminen in Ptolemaida
Lage:
Ptolemaida, Westmakedonien, Griechenland
Fläche:
jährlich werden ≈ 50 t auf ≈ 400 km2 gewonnen
Die Braunkohleminen in Ptolemaida sind eine bedeutende Quelle für Braunkohle in Griechenland, sie tragen zu einem beträchtlichen Teil des Energiebedarfs des Landes bei und sind ein wichtiger Bestandteil der lokalen Wirtschaft.
Geologie:
Im oberen Pliozän, vor etwa 2,6 bis 3,6 Millionen Jahren, bildete sich Torf in einer von Bäumen bewachsenen Moorlandschaft durch den langsamen Abbau organischer Materialien unter sauerstoffarmen Bedingungen. An den Stellen, wo der Sumpf von Bäumen bewachsen war, entstand Lignit, auch bekannt als Braunkohle. Die Gesteinsschichten zeigen eine abwechselnde Anordnung von Lignit (Braunkohle), Sandstein, Siltstein und Mergelstein.
Geschichte:
In den 1950er Jahren wurden die ersten Minen eröffnet, um die steigende Nachfrage nach Kohle als Brennstoff für die Stromerzeugung zu decken. Seitdem hat sich Ptolemaida zu einem wichtigen Kohleförderzentrum entwickelt.
Verwendung heute:
Der Abbau der Braunkohle in Ptolemaida erfolgt im Tagebau, was bedeutet, dass die Kohle aus oberflächennahen Schichten gewonnen wird. Die Braunkohleminen in Ptolemaida spielen eine zentrale Rolle in der Energieerzeugung Griechenlands. Die gewonnene Braunkohle wird hauptsächlich in den nahegelegenen Kohlekraftwerken verbrannt, um Strom zu produzieren. Diese Kraftwerke tragen massgeblich zur nationalen Energieversorgung bei.
Auswirkungen auf die Umwelt:
Die Verbrennung von Braunkohle setzt grosse Mengen an Treibhausgasen und Schadstoffen frei, die zur Luftverschmutzung beitragen. Der Tagebau trägt zu Landschaftsveränderungen (z.B. Fragmentierung) und ökologischen Beeinträchtigungen bei (z.B. Veränderungen im Mikro- und Bodenklima, Staubbelastung).
Ausblick:
Griechenland hat versprochen, bis 2028 (bzw. 2025) die Braunkohlekraftwerke abzuschalten und auf erneuerbare Energiequellen zu setzen. Es wird stark diskutiert, ob die Energiewende Richtung Photovoltaik, Windenergie oder fossilem Gas gehen soll. Bei der Rekultivierung müssen Massnahmen gegen die Bedrohung durch Arbeitslosigkeit, Migration, Umweltverschmutzung und Degradierung von Natur, Landschaft und Lebensqualität getroffen werden.
Quellen:
Interviews aus einer Forschungsreise
Francis Pavloudakis, Evangelos Karlopoulos, Roumpos Christos, Nikolaos Koukouzas. 2021. Energy transition and the future of lignite mining in the region of western Macedonia, Greece. 10th International Conference Coal, Zlatibor.
Evangelia Mavridou, Polykarpos Antoniadis, Polla Khanaqa, Walter Riegel, Thomas Gentzis. 2003. Paleoenvironmental interpretation of the Amynteon-Ptolemaida lignite deposit in northern Greece based on its petrographic composition. International Journal of Coal Geology, 56 (3), p. 253–268.
Steckbrief Carrara
Momente aus dem Besuchen von Carrara:
Die Mine ist verlassen bzw. nicht mehr in Betrieb. Cava Nummeri xcv-xcb. Obwohl die Mine hier ökonomisch tot ist, stehen noch Werk- und Fahrzeuge herum, Bagger zum Beispiel, die klein wie Spielzeuge erscheinen, auch wenn man fast neben ihnen steht. Die steilen Marmorwände überragen sie weitestgehend. Erst wenn man neben den Baggern steht, werden einem ihre Grösse und die eigene Winzigkeit bewusst. Ohne es zu merken, verbringen wir mehrere Stunden in der Stille der Mine.
Die Stimmung ist gespenstisch, wir stehen inmitten eines ausgehöhlten Berges. Den kleinen Bagger fünf Meter vor mir sehe ich als Komplizen, Komplizen in einem Komplott gegen den Berg, gegen die Natur. Lächerlicher Gedanke, der Mensch gegen die Natur. Schon als Kind fragte ich mich, was mit Natur gemeint ist. Trotzdem oder immer noch fühlt sich der Ort für mich danach an. Mensch gegen Natur, Maschine mit Mensch, Maschine gegen Natur, Kapitalismus gegen Natur.
Die Jobs in den Minen werden von einer Generation zur nächsten weitervererbt. Im Abbau zu arbeiten ist eine Ehre, und die wird einem nicht einfach zuteil. Es sind gut bezahlte Jobs, 1500€ im Monat bekomme man, wenn man für die Richtigen arbeite und nicht für die Mafia. Für den Transport der Marmorblöcke von der Mine in die Stadt, zu Fabriken, wo sie weiterverarbeitet werden, oder an den Hafen, wo sie exportiert werden, werden Arbeiter importiert, zum Beispiel aus Albanien (Interview mit Gian-Carlo, 2022).
Carrara hat eine anarchistische Geschichte und ist Gründungsort der «Federazione Anarchica Italiana» (FAI), der ersten anarchistischen Gewerkschaft in Italien (1968). Mittlerweile sei das «Movimiento» romantisiert und verklärt und es existiere nur noch, um die Tradition aufrechtzuerhalten (Interview mit Dominik Stahlberg, 2022).
Für die Künstler*innen aus dem “alternativen Atelier” ist es ein Konfliktpunkt, dass ihre Kunstform zum Abbau der Apuanischen Alpen beiträgt, doch gleichzeitig ist ihnen auch bewusst, dass es ein Tropfen auf dem heissen Stein wäre, würden sie damit aufhören, da sowieso nur etwa 1% vom abgebauten Marmor für die Kunst gebraucht wird. Sie erzählen mir etwas vom Aktivismus, der in Carrara stattfindet, und der sich zwar noch in Kinderschritten, aber langsam in Richtung Adoleszenz bewegt.
Das beliebteste Beispiel ist das offensichtlichste: Die Strassen zu den verschiedenen Minen sind ausgebaut und relativ intakt, während die Strassen, die um die Stadt herumführen, Reparaturen nötig hätten, die sich die Stadt aber kaum leisten kann, weil die Steuereinnahmen fehlen.
Name:
Marmorsteinbrüche von Carrara
Lage:
Carrara, westliche Apuanische Alpen, Italien. Der Abbau findet auf etwa 1000 – 1300 m ü.M. statt
Fläche:
≈ 65 km2, variiert je nach Aktivität der Steinbrüche und aktuellen Abbauplänen
Die Carrara-Marmorvorkommen zeichnen sich durch ihre aussergewöhnliche Reinheit, Helligkeit und Festigkeit aus. Carrara-Marmor gilt als eine der besten Marmorsorten weltweit.
Geologie:
Die Apuanischen Alpen sind Teil des Apennins und entstanden vor etwa 240 Millionen Jahren im Paläozoikum. Etwa ein Viertel der Gebirgskette ist mit Marmor bedeckt. Der Marmor entstand aus Kalkablagerungen, die sich im flachen Meer der Oberen Trias vor etwa 200 Millionen Jahren bildeten. Durch die Kontinentalverschiebung und die Druck- und Temperaturverhältnisse wurden die Ablagerungen zu Kalkstein verfestigt und später zu Marmor metamorphosiert. Das Marmorgebirge erstreckt sich bis zu einer Höhe von knapp 1900 Metern.
Geschichte:
Seit der Antike wird in Carrara Marmor für den Bau von Denkmälern, Tempeln und Skulpturen abgebaut. Während der Renaissance erlebten die Steinbrüche eine Blütezeit und wurden von berühmten Künstlern wie Michelangelo genutzt.
Verwendung heute:
Durch den technologischen Fortschritt beim Abbau gibt es quasi eine Überproduktion des Primärproduktes Marmor. 80% werden (teils in pulverisierter Form) an die Industrie (z.B. für Zahnpasta, Wandfarben, Pharma) abgegeben, etwa 20% wird zu ästhetischen Zwecken verwendet (Architektur/ Bildhauerei).
Auswirkungen auf die Umwelt:
Der Steinbruchbetrieb führt zu Landschaftsveränderungen, da grosse Teile der natürlichen Felswände abgetragen werden. Dies führt zu Erosion, veränderten Lebensräumen für Flora und Fauna und veränderten klimatischen Bedingungen. Marmettola, ein Gemisch aus Marmorstaub, Ölen und Mikroplastik, gelangt in Flüsse und Grundwasser, wo es sich wiederum negativ auf die Ökosysteme auswirkt. Der Einsatz von schweren Geräten und Sprengstoffen zur Gewinnung des Marmors kann negative Auswirkungen auf die Tier- und Bodenwelt haben.
Ausblick:
Die Steinbrüche in den Apuanischen Alpen, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören, befinden sich in der Region. Es wird angenommen, dass der Abbau von Carrara-Marmor noch für etwa 20 bis 30 Jahre andauern kann, vorausgesetzt, die Grösse der Naturschutzgebiete bleibt unverändert.
Quellen:
Interviews aus der Forschungsreise
Massimo Coli, Antonino Criscuolo. 2021. The Carrara Marble: geology, geomechanics and quarrying. IOP Conference Series: Earth and Environmental Science 833 012120
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aestheticized, (de-)contextualized, evocative
solastalgia, memory, processes in landscapes
Zwei Landschaften in zwei verschiedenen Ländern: Beide hatten über Äonen hinweg ihr eigenes Dasein. Heute teilen sie sich den Raum, geben ihr Innerstes und ihr Äusserstes ab. Stück für Stück wird von ihnen abgetragen. Sie erhalten eine neue Identität und eine neue Funktion, Zuspruch, Bewunderung und vielleicht auch Ehrfurcht. Sie werden verwundet, kommen in einen Kreislauf, werden transformiert und generieren eine teils groteske, teils widersprüchliche Ästhetik.
Beim Wandeln, Fasziniert-Sein, Sich-Zeit-Nehmen verweben sich Gespräche, Geschriebenes, Gefilmtes.
Steckbrief Ptolemaida
Momente aus dem Besuchen von Ptolemaida
Ich befinde mich an einem nackten Nicht-Ort. Die Nacktheit wird teilbedeckt von Fabriken, Reaktoren, Kühltürmen, Schildern, einer Skulptur, einem Mahnmal. Auf dem Marmormonument die Worte: «Εμείς οι εργάτες είμαστε που με τον ιδρώτα μας ζυμώνουμε του κόσμου το ψωμί. Emeis oi ergates eimaste pou me ton idrwta mas zymonoume tou kosmou to pswmi», eine Zeile aus einem Gedicht von Kostis Palamas, einem wichtigen Lyriker der neugriechischen Literatur. Übersetzen würde ich die Worte folgendermassen: «Wir, die Arbeiter sind es, die mit unserem Schweiss das Brot der Welt kneten.»
Ich gehe weiter, zu Fuss die Hügel runter, und vor mir öffnet sich nochmals ein riesiges offenes Becken, in dem Kohle abgebaut wird. Ich will es gerne umrunden. Weil es so weitläufig ist, beschliesse ich, die Strecke zum Auto hochzugehen und das kraterartige Loch dann mit dem Auto zu umfahren.
Ich fahre bis etwa in die Mitte des Beckens zu einem Teil der Landschaft, wo wohl schon länger nichts mehr abgebaut wird. Dort hat sich ein kleiner Fluss gebildet, der unter dem Eis durchfliesst und an dessen Ufer die ersten grünen Pflanzen des Jahres wachsen.
Die Kälte, die Landschaft, das Nicht-einordnen-Können meiner Gefühle dem Ganzen gegenüber laugen mich aus, und ich beschliesse, mir nun wirklich einen Platz zum Schlafen zu suchen.
Ich bewege mich hin und her zwischen den Schönheiten der Natur und halbverlassenen Fabriken, zwischen Schildern, die auf Bären hinweisen, Wölfen, die in Auswilderungsgehegen auf ihre (Re)sozialisierung in der freien Wildbahn warten, oder Strassenhunden, die aussharren, bis sich eine nette Familie für eine Adoptionen entscheidet, zwischen Fischerbooten, die im zugefrorenen See feststecken, und Windrädern, die vom Wind angetrieben werden, zwischen fruchtbarem und brachem Land, zwischen den Geräuschen von nistenden Vögeln und dem Brummen der Motore.
Zwischen dem Schilf habe ich eine Maschine hervorblitzen sehen, nun fahre ich der Neugierde hinterher. In einem Feld – im Nichts? – steht die Maschine vor mir. Sie ist turmhoch. Sie ist ein Schaufelradbagger der Firma Siemens. Sie nimmt sich Raum in der Landschaft, und ein Schwarm Nebelkrähen nimmt sich die Führerkabine. Ich verweile und beobachte, wie die Krähen immer wieder ausschwärmen, nur um Minuten später wieder zurückzukehren. Der Himmel ist grau, das Schilf gelb, die Erde braunrot, die Krähen heben sich durch ihre schwarze Farbe etwas ab, und am Horizont sehe ich wieder diesen roten Kühlturm mit dem weissen Streifen in der Mitte. Die ökologische Stromstätte.
Name:
Braunkohleminen in Ptolemaida
Lage:
Ptolemaida, Westmakedonien, Griechenland
Fläche:
jährlich werden ≈ 50 t auf ≈ 400 km2 gewonnen
Die Braunkohleminen in Ptolemaida sind eine bedeutende Quelle für Braunkohle in Griechenland, sie tragen zu einem beträchtlichen Teil des Energiebedarfs des Landes bei und sind ein wichtiger Bestandteil der lokalen Wirtschaft.
Geologie:
Im oberen Pliozän, vor etwa 2,6 bis 3,6 Millionen Jahren, bildete sich Torf in einer von Bäumen bewachsenen Moorlandschaft durch den langsamen Abbau organischer Materialien unter sauerstoffarmen Bedingungen. An den Stellen, wo der Sumpf von Bäumen bewachsen war, entstand Lignit, auch bekannt als Braunkohle. Die Gesteinsschichten zeigen eine abwechselnde Anordnung von Lignit (Braunkohle), Sandstein, Siltstein und Mergelstein.
Geschichte:
In den 1950er Jahren wurden die ersten Minen eröffnet, um die steigende Nachfrage nach Kohle als Brennstoff für die Stromerzeugung zu decken. Seitdem hat sich Ptolemaida zu einem wichtigen Kohleförderzentrum entwickelt.
Verwendung heute:
Der Abbau der Braunkohle in Ptolemaida erfolgt im Tagebau, was bedeutet, dass die Kohle aus oberflächennahen Schichten gewonnen wird. Die Braunkohleminen in Ptolemaida spielen eine zentrale Rolle in der Energieerzeugung Griechenlands. Die gewonnene Braunkohle wird hauptsächlich in den nahegelegenen Kohlekraftwerken verbrannt, um Strom zu produzieren. Diese Kraftwerke tragen massgeblich zur nationalen Energieversorgung bei.
Auswirkungen auf die Umwelt:
Die Verbrennung von Braunkohle setzt grosse Mengen an Treibhausgasen und Schadstoffen frei, die zur Luftverschmutzung beitragen. Der Tagebau trägt zu Landschaftsveränderungen (z.B. Fragmentierung) und ökologischen Beeinträchtigungen bei (z.B. Veränderungen im Mikro- und Bodenklima, Staubbelastung).
Ausblick:
Griechenland hat versprochen, bis 2028 (bzw. 2025) die Braunkohlekraftwerke abzuschalten und auf erneuerbare Energiequellen zu setzen. Es wird stark diskutiert, ob die Energiewende Richtung Photovoltaik, Windenergie oder fossilem Gas gehen soll. Bei der Rekultivierung müssen Massnahmen gegen die Bedrohung durch Arbeitslosigkeit, Migration, Umweltverschmutzung und Degradierung von Natur, Landschaft und Lebensqualität getroffen werden.
Quellen:
Interviews aus einer Forschungsreise
Francis Pavloudakis, Evangelos Karlopoulos, Roumpos Christos, Nikolaos Koukouzas. 2021. Energy transition and the future of lignite mining in the region of western Macedonia, Greece. 10th International Conference Coal, Zlatibor.
Evangelia Mavridou, Polykarpos Antoniadis, Polla Khanaqa, Walter Riegel, Thomas Gentzis. 2003. Paleoenvironmental interpretation of the Amynteon-Ptolemaida lignite deposit in northern Greece based on its petrographic composition. International Journal of Coal Geology, 56 (3), p. 253–268.
Steckbrief Carrara
Momente aus dem Besuchen von Carrara:
Die Mine ist verlassen bzw. nicht mehr in Betrieb. Cava Nummeri xcv-xcb. Obwohl die Mine hier ökonomisch tot ist, stehen noch Werk- und Fahrzeuge herum, Bagger zum Beispiel, die klein wie Spielzeuge erscheinen, auch wenn man fast neben ihnen steht. Die steilen Marmorwände überragen sie weitestgehend. Erst wenn man neben den Baggern steht, werden einem ihre Grösse und die eigene Winzigkeit bewusst. Ohne es zu merken, verbringen wir mehrere Stunden in der Stille der Mine.
Die Stimmung ist gespenstisch, wir stehen inmitten eines ausgehöhlten Berges. Den kleinen Bagger fünf Meter vor mir sehe ich als Komplizen, Komplizen in einem Komplott gegen den Berg, gegen die Natur. Lächerlicher Gedanke, der Mensch gegen die Natur. Schon als Kind fragte ich mich, was mit Natur gemeint ist. Trotzdem oder immer noch fühlt sich der Ort für mich danach an. Mensch gegen Natur, Maschine mit Mensch, Maschine gegen Natur, Kapitalismus gegen Natur.
Die Jobs in den Minen werden von einer Generation zur nächsten weitervererbt. Im Abbau zu arbeiten ist eine Ehre, und die wird einem nicht einfach zuteil. Es sind gut bezahlte Jobs, 1500€ im Monat bekomme man, wenn man für die Richtigen arbeite und nicht für die Mafia. Für den Transport der Marmorblöcke von der Mine in die Stadt, zu Fabriken, wo sie weiterverarbeitet werden, oder an den Hafen, wo sie exportiert werden, werden Arbeiter importiert, zum Beispiel aus Albanien (Interview mit Gian-Carlo, 2022).
Carrara hat eine anarchistische Geschichte und ist Gründungsort der «Federazione Anarchica Italiana» (FAI), der ersten anarchistischen Gewerkschaft in Italien (1968). Mittlerweile sei das «Movimiento» romantisiert und verklärt und es existiere nur noch, um die Tradition aufrechtzuerhalten (Interview mit Dominik Stahlberg, 2022).
Für die Künstler*innen aus dem “alternativen Atelier” ist es ein Konfliktpunkt, dass ihre Kunstform zum Abbau der Apuanischen Alpen beiträgt, doch gleichzeitig ist ihnen auch bewusst, dass es ein Tropfen auf dem heissen Stein wäre, würden sie damit aufhören, da sowieso nur etwa 1% vom abgebauten Marmor für die Kunst gebraucht wird. Sie erzählen mir etwas vom Aktivismus, der in Carrara stattfindet, und der sich zwar noch in Kinderschritten, aber langsam in Richtung Adoleszenz bewegt.
Das beliebteste Beispiel ist das offensichtlichste: Die Strassen zu den verschiedenen Minen sind ausgebaut und relativ intakt, während die Strassen, die um die Stadt herumführen, Reparaturen nötig hätten, die sich die Stadt aber kaum leisten kann, weil die Steuereinnahmen fehlen.
Name:
Marmorsteinbrüche von Carrara
Lage:
Carrara, westliche Apuanische Alpen, Italien. Der Abbau findet auf etwa 1000 – 1300 m ü.M. statt
Fläche:
≈ 65 km2, variiert je nach Aktivität der Steinbrüche und aktuellen Abbauplänen
Die Carrara-Marmorvorkommen zeichnen sich durch ihre aussergewöhnliche Reinheit, Helligkeit und Festigkeit aus. Carrara-Marmor gilt als eine der besten Marmorsorten weltweit.
Geologie:
Die Apuanischen Alpen sind Teil des Apennins und entstanden vor etwa 240 Millionen Jahren im Paläozoikum. Etwa ein Viertel der Gebirgskette ist mit Marmor bedeckt. Der Marmor entstand aus Kalkablagerungen, die sich im flachen Meer der Oberen Trias vor etwa 200 Millionen Jahren bildeten. Durch die Kontinentalverschiebung und die Druck- und Temperaturverhältnisse wurden die Ablagerungen zu Kalkstein verfestigt und später zu Marmor metamorphosiert. Das Marmorgebirge erstreckt sich bis zu einer Höhe von knapp 1900 Metern.
Geschichte:
Seit der Antike wird in Carrara Marmor für den Bau von Denkmälern, Tempeln und Skulpturen abgebaut. Während der Renaissance erlebten die Steinbrüche eine Blütezeit und wurden von berühmten Künstlern wie Michelangelo genutzt.
Verwendung heute:
Durch den technologischen Fortschritt beim Abbau gibt es quasi eine Überproduktion des Primärproduktes Marmor. 80% werden (teils in pulverisierter Form) an die Industrie (z.B. für Zahnpasta, Wandfarben, Pharma) abgegeben, etwa 20% wird zu ästhetischen Zwecken verwendet (Architektur/ Bildhauerei).
Auswirkungen auf die Umwelt:
Der Steinbruchbetrieb führt zu Landschaftsveränderungen, da grosse Teile der natürlichen Felswände abgetragen werden. Dies führt zu Erosion, veränderten Lebensräumen für Flora und Fauna und veränderten klimatischen Bedingungen. Marmettola, ein Gemisch aus Marmorstaub, Ölen und Mikroplastik, gelangt in Flüsse und Grundwasser, wo es sich wiederum negativ auf die Ökosysteme auswirkt. Der Einsatz von schweren Geräten und Sprengstoffen zur Gewinnung des Marmors kann negative Auswirkungen auf die Tier- und Bodenwelt haben.
Ausblick:
Die Steinbrüche in den Apuanischen Alpen, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören, befinden sich in der Region. Es wird angenommen, dass der Abbau von Carrara-Marmor noch für etwa 20 bis 30 Jahre andauern kann, vorausgesetzt, die Grösse der Naturschutzgebiete bleibt unverändert.
Quellen:
Interviews aus der Forschungsreise
Massimo Coli, Antonino Criscuolo. 2021. The Carrara Marble: geology, geomechanics and quarrying. IOP Conference Series: Earth and Environmental Science 833 012120
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