Gedanken bezüglich Anwendbarkeit in transdisziplinären Projekten https://www.wissenswerkstatt.net/2007/experimentalsysteme-hans-joerg-rheinberger-skizziert-kontingenzspielraeume/
Experimentalsysteme sind die Materialisierung von Fragen. Sie sind Maschinen zur Herstellung von Zukunft. Frage: Könnte also ein Experiment Ausgangslage für ein transdisziplinäres Projekt sein?
Von dieser Wahl (Systemwahl des Experiments) hängt der Spielraum ab, in dem sich der Experimentierende bewegen kann, der Charakter der Fragen, die er stellen kann, und sehr oft sogar auch die Art der Antworten, die er geben kann. Frage: Wenn verschiedene Disziplinen zusammenarbeiten und unterschiedliche Experimentalsysteme mitbringen, können sie so wie sie vorbestehen angewendet werden oder gilt es genau ein “neues” Experimentalsystem zu entwickeln? (Die Wissenschaft sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, daß sie stets nur ihre eigenen (eben soziologischen) Kriterien und Sichtweisen an ihren Gegenstand herantrage. Und somit eben den tatsächlichen Vorgängen in den chemischen, physikalischen oder biologischen Laboren niemals gerecht werden könne.Und tatsächlich fällt es oftmals schwer, diesen Verdacht zu entkräften. Denn die Forschungsarbeit in den jeweiligen Disziplinen ist nicht nur hochspezialisiert, sondern gehorcht auch einer subtilen, fachspezifischen Eigenlogik.) Frage: Das heisst, die Eigenlogik muss auf jeden Fall gebrochen werden. Durch ein neues System? Durch die Vermischung von verschiedenen Systemen? Das Neue werde allein durch eine Experimentalanordnung ermöglicht, die Unschärfen, Nichtwissen und – wie ich hinzufügen möchte – Kontingenz zu integrieren in der Lage ist. (Rheinberger)
Es ist klar, dass die Entstehung des Neuen in den modernen Wissenschaften etwas mit dem Experiment zu tun hat. Aber wie kann man zu fassen bekommen, was da im Kern des Geschehens vor sich geht, eben dort im Dunkeln, wenn man vor den Tunnels und den Schächten früherer Werke steht? Man fängt ja nie von vorne an, sondern steht am Ende eines Weges, den andere gegangen sind.
Experimentalsysteme sind also äusserst trickreiche Anlagen; man muss sie als Orte der Emergenz ansehen, als Strukturen, die wir uns ausgedacht haben, um Nicht-Ausdenkbares einzufangen. Sie sind wie Spinnennetze. Es muss sich in ihnen etwas verfangen können, von dem man nicht genau weiss, was es ist, und auch nicht genau, wann es kommt. Es sind Vorkehrungen zur Erzeugung von unvorwegnehmbaren Ereignissen.
Man kann das Forschen also als eine Suchbewegung charakterisieren, die sich auf der Grenze zwischen dem Wissen und dem Nichtwissen bewegt. Das Grundproblem besteht darin, dass man nicht genau weiss, was man nicht weiss. Damit ist das Wesen der Forschung kurz, aber bündig ausgesprochen. Es geht letztlich um das Gewinnen von neuen Erkenntnissen; und was wirklich neu ist, ist definitionsgemäss nicht vorhersehbar, es kann also auch nur begrenzt herbeigeführt werden. Was wirklich neu ist, muss sich einstellen, und man muss Bedingungen dafür schaffen, dass es sich einstellen kann. Mit dem Experiment schafft sich der Forscher eine empirische Struktur, eine Umgebung, die es erlaubt, in diesem Zustand des Nichtwissens um das Nichtwissen handlungsfähig zu werden. (…) Das Experiment ist, wenn man so will, eine Suchmaschine, aber von merkwürdiger Struktur: Sie erzeugt Dinge, von denen man immer nur nachträglich sagen kann, dass man sie hätte gesucht haben müssen.
Rheinberger
Seine Arbeiten (Rheinberger) stellen den spannenden Versuch dar, den untergründigen Mechanismen des wissenschaftlichen Forschens auf den Grund zu gehen. Und dabei gelingt es ihm regelmäßig, Selbstverständlichkeiten des wissenschaftlichen Arbeitsprozesses als Konstrukte zu entlarven, die lediglich Ausdruck einer disziplinären und/oder sprachlichen Konvention sind. Nicht mehr, nicht weniger. Frage: könnte der Bruch der Eigenlogik genau darin liegen, die Mechanismen des wissenschaflichen Forschens kritisch zu reflektieren?
Das Expirement nicht als Bestätigendes oder Widerlegendes verstehen, sondern als ungeordneten Prozess, Unvorhersehendes bringend. Die Geradlinigkeit und Stringenz des Forschungsverlaufs wird allenfalls nachträglich konstruiert. Frage: Das Experimentalsystem also als “Methode” und nicht als Atwortbringende anwenden.